UNSERE ALLTÄGLICHE MACHT

Ein grinsender Fahrer der Straßenbahn
läßt manchmal im ,Regen dich stehn.
Der Pförtner, dein Kumpel von nebenan,
verlangt deinen Ausweis zu sehn.
Der Zahnarzt verbohrt sich, so werden wir”s auch,
und zeigen ein Abschreck-Gesicht.
Die Kneipe ist voll, der Kneipier wie ein Schlauch.
So macht er die Bude schon vorzeitig dicht.

Jeglicher hat seine Macht hier. Na und?
Hier vor der Kneipe tritt der Besoffne den Hund.

Die Schlange am Schalter des Postamtes stockt.
lm Hintergrund brodelt Kaffee.
Der Amtsesel wiehert, und der Amtsesel bockt.
Und frißt den vierblättrigen Klee.
Es büßen die Söhne für jeglichen Schuß,
hat \/äterchens Mannschaft verlorn.
Der Kleinst-Funktionär haut den neusten Beschluß
zu seiner Entlastung uns flugs um die Ohr’n.

Jeglicher hat seine Macht hier. Na und?
Hier vor der Kneipe tritt der Besoffne den Hund.

Und der, der dein Schulfreund gewesen ist
(ein sehr braver Junge in seiner Art),
der wurde ein freundlicher \/olkspolizist.
Und zeigt dir den Knüppel. Und lächelt so zart.
Es muß in den Köpfen viel Ohnmacht noch sein,
daß manche so machthungrig sind.
Wieso machen wir uns mit Macht nur so klein,
und klagen dann, daß kleine Leute wir sind?

Jeglicher hat seine Macht hier. Na und?

(1984)

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GEGENLIED ZU „UNSERE ALLTÄGLICHE MACHT

Wenn ich einmal Macht bekäme,
wüßt ich nicht, ob ich sie nähme,
denn vielleicht nähm ich sogar
meine Macht dann wirklich wahr!
Kriegte Muskeln statt Gedanken,
könnte nur noch mir vertraun.
Müßte oft mit Dichtern zanken
oder sie konkret verhaun.
Also, Freunde, bleibet tätig `
uns zuliebe Tag und Nacht!
Aber bitte seid mir gnädig:
Bitte gebt mir keine Macht!

Ja, auch ich möcht von den Höhen
einmal in die Weite spähen.
Fürcht nur, daß von oben dann
ich keinen mehr erkennen kann.
Anstatt dann vor Furcht zu fauchen,
würde ich mit Steinschlag drohn.
Aber seine Macht gebrauchen,
ist ja fast ihr Mißbrauch schon.
Also, Freunde, bleibet tätig
uns zuliebe Tag und Nacht!
Aber bitte seid mir gnädig:
Bitte gebt mir keine Macht!

Ja, ich hätte einen Fahrer,
und gesichert Wär mein Klarer.
Und für alle meine Sprüch‘
käm ein Beifall über mich.
Doch auf einem hohen Throne
baumle ich die Beinchen bloß.
Hätte oben eine Krone,

und wär unten bodenlos.
Also, Freunde, bleibet tätig
uns zuliebe Tag und Nacht!
Aber bitte .seid mir gnädig:
Bitte gebt mir keine Macht!

(1984)